Europaweite Videoüberwachung an Schlachthöfen und Dokumentation


Guest

/ #977 Interview mit Landwirtschaftsminister Christian Meyer

2013-07-26 10:04

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Wolfgang Zerulla [mailto:wolfgang.zerulla@arcor.de]
Gesendet: Freitag, 26. Juli 2013 09:17
An: Wolfgang Zerulla
Betreff: Interview mit Landwirtschaftsminister Christian Meyer
Zur Info. LG. Wolfgang
----------------------------------------------------------------------------
------------------------------------
„Fleisch ist zu billig“
Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer spricht im
HAZ-Interview über die Freuden des Grillens, Käfigeier aus der Ukraine - und
berichtet, wie er Lebensmittel überwachen will, ohne selbst dafür zu zahlen.

Herr Meyer, es ist schönste Sommerzeit – haben Sie schon gegrillt?

Noch nicht selbst. Aber im August zusammen mit dem grünen Abgeordneten aus
dem Wahlkreis Linden. Gegrillt wird vegetarisch-vegan.

Aha. Kein Fleisch?

Ich gehöre da eher zur Gruppe der Flexitarier: Fleisch nicht in Massen zu
essen, sondern mit Maß und Genuss. Und da ist mir der Tierschutz bei der
Haltung ganz wichtig. Daher esse ich schon seit Jahren kein Geflügelfleisch
aus Massentierhaltung mehr. Ökofleisch oder vegetarisch ist nicht nur
gesünder, sondern schmeckt auch besser.

Die Uni Göttingen hat jüngst herausgefunden, dass manchen Deutschen das
Fleisch immer noch zu teuer ist. Verstehen Sie das?

Fleisch wird zu günstig angeboten. Da verstehe ich viele Landwirte, die sich
über Preisdumping zu ihren Lasten ärgern. Was viele Konsumenten beim Einkauf
ausblenden: Sie zahlen für Billigfleisch an anderer Stelle drauf. Zum
Beispiel, weil sie steigende Kosten für die Trinkwasseraufbereitung durch
Nitrate oder die gesundheitlichen Folgen durch Antibiotika und Keime
bezahlen müssen. Die wahren Kosten sind nicht in den Preisen für Fleisch
enthalten. Es ist nur künstlich billig. Das ist nicht die Position der
Landesregierung. Lebensmittel sind kein billiger Wegwerfartikel, und ihre
Erzeugung ist uns mehr wert.

Sie haben bei Ihrem Amtsantritt vor einem halben Jahr eine „sanfte
Agrarwende“ versprochen. In der Konsequenz bedeutet das steigende Kosten für
die Bauern – und höhere Preise an der Ladentheke. Wer soll das bezahlen?

Ich habe festgestellt, dass Konsumenten bereit sind, für Qualität mehr zu
zahlen – wenn das, was der Produzent verspricht, auch glaubhaft ist und beim
Bauern ankommt. Ich bin überzeugt, dass es für Qualität einen wachsenden
Markt gibt. Ein Beispiel ist der steigende Bioanteil bei Lebensmitteln,
obwohl diese deutlich teurer sind. Deshalb wollen wir weg von Masse und
billig.

Mit der Agrarwende?

Ja, wir wollen Landwirtschaft und Ernährung neu aufstellen. Davon
profitieren alle Verbraucher. Und die Landwirte bekommen für ihre Produkte
höhere Preise, wenn sie etwa durch mehr Tierschutz mehr Qualität bieten.

Im Wahlkampf wurden Sie als Bauernschreck gehandelt. Hat sich das als
Minister geändert?

Ich merke an der Bauernbasis eine große Zustimmung für unsere Pläne zur
Stärkung bäuerlicher Betriebe. Wir kämpfen für die große Masse der
Landwirte. Statt sozialistischer Einheitsprämie, wo jeder Hektar gleich
gefördert wird, wollen wir zum Beispiel, dass die EU-Agrarsubventionen
künftig mehr kleinen und mittleren Höfen statt Großbetrieben zugutekommen.
Damit stärken wir die bäuerliche Landwirtschaft – egal ob Bio oder
konventionell. Wenn wir etwa einen Zuschlag für die ersten Hektare eines
Betriebes geben, sind in Niedersachsen fast 90 Prozent der Betriebe die
Gewinner. Das ist ein Paradigmenwechsel. Und das kommt mittlerweile gut an
bei den Bauern. Nicht mal in den Hochburgen der Massentierhaltung, wie
Cloppenburg oder Vechta, bin ich von Landwirten dafür ausgebuht worden.

Künftig soll also die jahrzehntelang in der Landwirtschaft propagierte
Devise „Wachsen oder weichen“ nicht mehr gelten?

Es ist nicht das Modell der Landesregierung, immer weniger Betriebe, immer
weniger Arbeitsplätze und immer weniger Wertschöpfung im ländlichen Raum zu
haben. Wozu der Billigpreisdruck führt, sieht man an der unmenschlichen
Ausbeutung von Beschäftigten in den Riesenschlachthöfen. Wir wollen die
Vielfalt in der Landwirtschaft, das heißt die Zahl der Betriebe möglichst
konstant halten. Mit den Zusatzprämien für die ersten Hektare für kleine
Betriebe können wir dazu etwas beitragen, und auch bei den Auflagen
differenzieren wir stärker zwischen groß und klein. Das wird schon eine
Wende auslösen.

Das klingt ein bisschen nach der vermeintlich idyllischen Landwirtschaft der
fünfziger Jahre ... ...

die ja zum Beispiel beim Tierschutz nun auch massive Probleme hatte. Nein,
es geht nicht um eine Kehrtwende, sondern um einen qualifizierten Ausweg aus
der Sackgasse, in die sich die Agrarindustrie manövriert hat. Die Zukunft
liegt für die Landwirte darin, über Qualität zu wachsen.

Wie reagiert der Bauernverband darauf?

Auch der spricht jetzt immer häufiger von bäuerlicher Landwirtschaft, die
geschützt werden müsse. Trotzdem wendet er sich gegen Kürzungen bei
Großbetrieben, obwohl davon nur 0,1 Prozent aller niedersächsischen Betriebe
betroffen wären. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten für eine ehrlichere
Kennzeichnung von Lebensmitteln. Zum Beispiel wollen wir gemeinsam nicht,
dass billige Käfigeier aus der Ukraine ohne Kennzeichnung auf unseren Markt
kommen und den Verbrauchern untergemogelt werden. Diese importierten
Käfigeier werden von der Industrie etwa zur Herstellung von Nudeln
eingesetzt. Wenn auf der Nudelpackung draufstehen müsste, aus welcher
Tierhaltung sie stammen, würden mehr Hersteller auf Eier aus heimischer
Produktion umstellen – und das wiederum würde kleinere Legehennenbetriebe
bei uns stärken. Und sie bekämen bessere Preise. Was eine ehrliche
Kennzeichnung bringt, sieht man bei den im Handel angebotenen Eiern. Nur
noch fünf Prozent stammen aus Käfighaltung, weil der Verbraucher diese
tierquälerische Haltung ablehnt.

Die Eier sind doch eher eine Ausnahme. Bei Fleisch und anderen Produkten
funktioniert das bisher nicht. Kommt da jetzt eine rot-grüne
Zwangsbeglückung?

Davon kann keine Rede sein. Konsumenten brauchen vor allem ehrliche
Informationen über Lebensmittel. Nur dann haben sie eine echte Wahlfreiheit,
was sie kaufen und essen. Das kann und muss der Staat durch eine einfache
Kennzeichnung der Produkte gewährleisten. Wir wollen keine Zwangsbeglückung
der Verbraucher, sondern sie nur besser informieren. Was auf einem Produkt
draufsteht, muss auch drin sein.

Lassen sich so die wiederkehrenden Lebensmittelskandale von verseuchten
Sprossen bis zum Gift im Tierfutter verhindern?

Um das zu erreichen, setzen wir künftig verstärkt auf staatliche Kontrollen.
Den Eigenkontrollen der Unternehmen trauen wir nicht mehr, weil sie zu oft
versagt haben. Ob Dioxin oder Schimmelmais – dabei waren Bauern und
Verbraucher unschuldige Opfer der Skandale. Das wollen wir ändern. Deshalb
verstärken wir personell in großem Umfang das Landesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES). Es ist für die
Kontrolle von Futtermitteln, Lebensmitteln, Tierarzneimitteln, ökologischem
Landbau und Tierschutz zuständig. Bis 2016 bekommt das LAVES zusätzlich 183
Stellen. Erstmals richten wir außerdem eine mobile Taskforce mit Experten
ein, die Betrug zulasten der Verbraucher gezielt aufdecken soll.

Was kostet das?

Rund 13 Millionen Euro. Aber die Steuerzahler müssen das nicht aus eigener
Tasche zahlen. Wir finanzieren die neuen Stellen ausschließlich über
Kontrollgebühren, die wir den Verursachern, etwa der Agrarindustrie, in
Rechnung stellen. Das ist ein Systemwechsel. Diesen niedersächsischen Weg
der Gebührenfinanzierung der Kontrolle unterstützt im Übrigen auch die
EU-Kommission, die jetzt ein ähnliches Modell vorgeschlagen hat, gestaffelt
nach der Größe der Unternehmen. Denn bei diesen ist das Risiko viel höher –
etwa beim internationalen Handel mit Futtermitteln. Deshalb müssen wir schon
bei den Importen in unseren Häfen höchste Wachsamkeit zeigen.

Auch im Biolandbau ist die Eigenkontrolle der Erzeuger zuweilen nicht
zuverlässig. Nicht alles, was „Bio“ heißt, verdient dieses Siegel. Wie
wollen Sie das ändern?

Wir werden die Überwachung der rechtlichen Anforderungen an die Biobetriebe
ebenfalls stärker durch das LAVES kontrollieren. Verstöße zulasten von
Umwelt, Tieren und Verbrauchern werden nicht mehr geduldet, egal ob Bio oder
konventionell. Die vor Kurzem im Bundesrat verabschiedete Novelle des
Ökolandbaugesetzes gibt uns jetzt ein wirksames Instrument an die Hand:
Anders als bisher hat dann auch jedes Bundesland die Möglichkeit, einer
Ökokontrollstelle bei Schlampereien die Zulassung zu entziehen. Sie sehen:
Niedersachsen wird insgesamt Vorreiter beim Verbraucherschutz.

Besonders artgerecht wachsen ja die Wildtiere auf. Dennoch haben Sie auch
die Jäger im Visier. Sorgen die sich zu Recht – oder geht es nur ums
bleifreie Schießen?

Die Einführung von bleifreier Munition hat ihre Berechtigung. Denn so
bekommen wir noch gesünderes Fleisch. Im Wahlkampf ist ja seinerzeit erzählt
worden, ich wollte den Jägern die Waffen wegnehmen. Aber das ist natürlich
Unsinn. Da muss sich niemand Sorgen machen.

26.07.2013 / HAZ Seite 3 Ressort: BLIZ