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/ #1210 Gott und die Tiere

2013-10-06 21:06

Gott und die Tiere
Den Beitrag kann man hier nachhören:

http://www.wdr.de/tv/tieresucheneinzuhause/sendungsbeitraege/2013/1006/01_gott_tiere.jsp

Es ist Tradition in der katholischen Kirche, Anfang November Hubertusmessen zu zelebrieren – Gottes Segen für Jäger und ihre Waffen. Dabei sagt die Legende über den Heiligen Hubertus etwas ganz anderes, nämlich, dass der vergnügungssüchtige Adlige und passionierte Jäger einem weißen Hirschen begegnet sei, der ein Kreuz zwischen dem Geweih trug. Hubertus soll dies als Zeichen gesehen, das Jagen aufgegeben und ein geistliches Leben begonnen haben.
Tiermast, Fließbandschlachtungen, Tierversuche: Obwohl Gottes Schöpfung unter der vielfältigen „Nutzung“ durch den Menschen leidet, empört sich die Kirche nicht, sondern schweigt oder stützt sogar, wenn auch passiv, die Argumentation der Verursacher. Und das hat Tradition.
Ein Bibelwort und seine Interpretation
Dahinter steht die seit der Spätantike gültige Auffassung, der Mensch ist das Ebenbild Gottes und die Krone der Schöpfung. Das Bibelwort „Macht euch die Erde untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht." (Genesis 1, 28), wird als göttlicher Auftrag interpretiert, die Natur zu unterwerfen.

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Bestimmte Stellen in der Bibel werden als göttlicher Auftrag interpretiert, die Natur zu unterwerfen.
Mit ihrer Auslegung des „Dominium Terrae“, der Herrschaft über die Erde, hat die christliche Tradition die Entwicklung unserer westlichen Kultur bis heute entscheidend geprägt. Die Philosophie der Aufklärung festigte den Glauben an die zentrale Stellung des Menschen und feierte die Vernunft, die allein der Mensch besitzt.
Der berühmte Satz des englischen Philosophen Jeremy Bentham (1748-1832) zum Leid der Tiere lautet: „Die Frage ist nicht 'Können sie denken?' oder 'Können sie reden?', sondern ‚Können sie leiden?'“ Der Gedanke, dass Tiere dadurch, dass sie wie wir leiden, eben davor bewahrt bleiben sollen, hat sich nicht durchgesetzt.
Unter „Ehrfurcht vor der Unversehrtheit der Schöpfung“ (Absätze 2415-2418) befasst sich der Katechismus der katholischen Kirche von 1997 mit dem Mensch-Tier-Verhältnis: Tiere sind Geschöpfe Gottes, denen der Mensch mit Wohlwollen begegnen, sie nicht unnötig leiden lassen und töten soll. Aber sie sind grundsätzlich unter die Herrschaft des Menschen gestellt, man darf sich ihrer bedienen. Tierversuche sind in vernünftigen Grenzen sittlich zulässig.
Neue Ansätze
Inzwischen werden aber Stimmen laut, die genau diesen radikalen Alleinstellungsanspruch des Menschen im Christentum kritisieren und dieser einseitigen Sicht vorwerfen, Wegbereiter der Umweltzerstörung und der drohenden ökologischen Katastrophe zu sein. Der unbegrenzte Egoismus verstelle den Blick für das Ganze und enthebe den Menschen wahrer Verantwortung.
Bezüglich der Bedeutung von Herrschaft – „Macht Euch die Erde untertan“ – werden die Bibelstellen der Schöpfungsgeschichte neu interpretiert. Geht es wirklich um Herrschaft im Sinne von Unterjochen und Ausbeutung, oder ist nicht vielmehr die Zuweisung von Verantwortung gemeint, also ein guter Hirte sein, zu schützen und zu bewahren?
Mittlerweile wird darüber nachgedacht, ob dem Menschen nicht in der Bibel eher Verantwortung für Tiere zugetragen wird.
Parallel kratzen immer neue Forschungsergebnisse über Fähigkeiten, Intelligenz und Gefühle der Tiere am traditionellen Bild der Einzigartigkeit des Menschen. In dieser beginnenden Zeitströmung macht sich gerade besonders eine Stimme bemerkbar: der katholische Priester Dr. Rainer Hagencord.
Theologische Zoologie
Vier Jahre nach seiner Priesterweihe studierte er Biologie und Philosophie. Vor allem die Verhaltensbiologie lenkte seine Gedanken in neue Bahnen und bewegte ihn dazu, auch aus theologischer Sicht einen anderen Blick auf die Tiere zu werfen.
Dass die gesamte Schöpfung als Ressource für den Menschen gemacht sein soll, wollte Hagencord nicht mehr anerkennen. Er leistet damit Pionierarbeit in der wissenschaftlichen Zusammenführung von Theologie und Biologie.
Vom Bischof in Münster für die Forschung freigestellt, gründete er mit dem Schweizer Kapuziner Dr. Anton Rotzetter das Institut für theologische Zoologie, das der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster angeschlossen ist. Aufgabe und Ziel des Instituts: Wissenschaftliche Forschung zur Würdigung des Tieres in der Religion. „Ein Irrtum über die Geschöpfe mündet in ein falsches Wissen über Gott und führt den Geist des Menschen von Gott fort.“ (Thomas von Aquin)
Die Schirmherrschaft für das Institut übernahm die weltweit anerkannte Verhaltensforscherin Jane Goodall. Sie hatte entdeckt, dass Schimpansen Werkzeug bewusst einsetzen, eine Fähigkeit, die bis dahin als Domäne des Menschen gegolten hatte. Ihr Engagement für bedrohte Primaten ist zum Kampf gegen Umweltzerstörung und für einen respektvollen Umgang mit der gesamten Schöpfung geworden. Als Ergebnis ihrer Arbeit teilt sie mit Rainer Hagencord die Kritik am christlichen Menschenbild als Krone der Schöpfung.
Tiere als Mitgeschöpfe
Die scharfe Abgrenzung – vernunftbegabter beseelter Mensch hier, seelenloser Tiere dort – lässt sich für den Theologen und Biologen Hagencord nicht aufrechterhalten. In der Bibel findet er keinen Beleg für die Stellung des Menschen als Krone der Schöpfung. Er hält stattdessen den christlichen Machtanspruch des Menschen für eine Fehlinterpretation des hebräischen Textes. Statt „Macht Euch die Erde untertan“ müsste es vielmehr heißen „Seid ein guter Hirte“.
In seinem Buch „Diesseits von Eden – Theologische und verhaltensbiologische Argumente für eine neue Sicht der Tiere“ fordert Dr. Hagencord, Tiere als Mitgeschöpfe anzuerkennen und entsprechend in ihrer Würde und mit all ihren Fähigkeiten zu behandeln.
Und noch einem weitverbreiteten Glauben will der Theologe die Rechtfertigung entziehen: Der Behauptung, dass nur der Mensch eine Seele habe, also einen unsterblichen, sittlichen Teil, das Tier jedoch nicht. Mit dem Tod eines Tieres sei dessen Existenz erloschen.
Haben Tiere eine Seele?
Eine solche Frage stellten sich die biblischen Autoren gar nicht, sagt Dr. Hagencord: „Die Bibel spricht von jedem Geschöpf, das ein beseeltes Geschöpf ist. Die Bibel redet überhaupt nicht von Haben, also wie ich eine Bauchspeicheldrüse habe, so habe ich auch einen Seele – so ein Denken ist den biblischen Autoren fremd. Für die Bibel ist die Seele ein poetisches Wort, das die Geheimnishaftigkeit eines jeden Geschöpfes und seine Beziehung zu Gott deutlich macht. Gott ist mit jedem Geschöpf verbunden.“ Somit auch mit den Tieren.
Laut Dr. Hagencord steht in der Bibel, dass Gott auch mit jedem Tier verbunden ist.
Einsatz für Tiere
Dr. Rainer Hagencord will sich nicht auf den rückwärtsgewandten Blick auf alte Bibelstellen beschränken. Er will den Tieren ganz praktisch aus ihrer Würdelosigkeit heraus helfen. Es geht ihm um den gesamten Umgang mit Tieren: ihre Haltung, Nutzung, Wertschätzung und schließlich die Frage, ob man sie schlachten und essen darf.
Ein neuer Blick auf die Tiere ist auch für aktuelle Themen wie Ökologie, Artensterben und Verelendung der sogenannten Dritten Welt von Bedeutung. Das Institut für theologische Zoologie bietet Tagungen, Vorträge und Workshops an. Dr. Hagencord sucht auch den direkten Kontakt zu Menschen, die mit Tieren arbeiten oder Tiere nutzen. So zum Beispiel im Zoo von Münster, dessen Direktor Jörg Adler als Kuratoriumsmitglied des Instituts für Theologische Zoologie Hagencords Forschung unterstützt.
Seine Studenten holte er zum Anschauungsunterricht aus den Seminaren vor die Gehege von Affen. Er fordert nicht den totalen Fleischverzicht, wohl aber sehr bewussten Konsum desselben und wendet sich folglich vehement gegen Tierfabriken.
Widerstände
Der Ansatz des Priesters hat nicht nur Freunde. Als er in einem Heft zur Firmvorbereitung christliche Verantwortung einforderte, Massentierhaltung drastisch beschrieb und Zahlen zu den allein 2009 geschlachteten Tieren nannte („56.415.489 Schweine; 3.803.554 Rinder, Kälber und Jungrinder; 1.045.718 Schafe und Lämmer; 27.821 Ziegen; 9.413 Pferde. Dazu kommen 584.952.800 männliche und weibliche „Gebrauchsküken“; 40 Millionen Hahnenküken wurden zudem vergast, geschreddert oder durch Elektroschocks getötet“) gab es Beschwerden beim zuständigen Bischof in Münster. Vor allem, weil zum Artikel eine Todesanzeige für die Tiere erschienen war.
Allein 2009 gab es 584.952.800 männliche und weibliche „Gebrauchsküken“ und 40 Millionen getötete Hahnenküken.

Autorin: Anja Friehoff